Bildung als Schlüssel für die Sicherung von IT-Fachkräften

Ein Blick auf die Wiener Bildungslandschaft

Die digitale Transformation ist längst zu einer zentralen Herausforderung für Wiener Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und damit auch für das Bildungssystem geworden. Eine Verknappung von derzeitigen sowie künftigen Arbeitskräften könnte laut Studien eine Wachstumsbremse mit Wertschöpfungsverlusten von knapp 5 Milliarden Euro bedeuten.

Um die Herausforderungen des digitalen Wandels erfolgreich zu bewältigen, brauchen Unternehmen und Organisationen IT-Know-How und folglich die entsprechenden IT-Fachkräfte. Die Chancen dafür liegen unter anderem im Bildungssystem, in der (beruflichen) Erwachsenenbildung, in innovativen Bildungsangeboten, aber auch in arbeitsplatznaher Aus- und Weiterbildung.

Die Wiener IKT-Branche – ein Motor für Beschäftigungswachstum

Die IKT-Branche verzeichnet seit Jahren ein hohes Beschäftigungswachstum: Im Zeitraum 2008 bis 2022 war dieses im Vergleich zur Gesamtbeschäftigung mehr als viermal so hoch. Dies gilt insbesondere für Wien, als hier für denselben Zeitraum die bundesweit höchsten Zuwächse zu beobachten sind (+ 51,2 Prozent). In Wien verzeichnen wir in der IKT-Branche aber auch den größten Anteil an unselbstständig Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung.

Gleichzeitig zeigen Unternehmensbefragungen, dass in Wien rund 6.000 Fachkräfte für die IT-Kernbereiche fehlen. Aber auch die Statistik zur Rot-Weiß-Rot-Card liefert Hinweise auf eine erhöhte Nachfrage nach IT-Personal. So wurden im Jahr 2023 von insgesamt 7.852 positiven Gutachten 2.352 Rot-Weiß-Rot-Karten an IT-Techniker*innen, Techniker*innen in Maschinenbau und Elektronik vergeben. Mit fast einem Drittel an positiven Gutachten ist diese Berufsgruppe unter den vergebenen Rot-Weiß-Rot-Karten am stärksten vertreten.

Drüber hinaus verfügt der IKT-Sektor, besonders IKT-Dienstleistungen und Dienstleistungen der Informationstechnologie, über eine jugendzentrierte Altersstruktur, wie Bock-Schappelwein in ihrer Studie feststellt. Hier eröffnen sich Beschäftigungsmöglichkeiten durch digitalen Wandel, menschliche Arbeit wird relativ häufig durch den Einsatz digitaler Technologien unterstützt. Gleichzeitig könnten diese Bereiche von demographischen Entwicklungen nachteilig betroffen sein.  Aufgrund geburtenschwächerer Jahrgänge nachrückender Kohorten könnte es schwieriger werden, junge Menschen zu finden, die die erforderlichen Anforderungsprofile aus der Erstausbildung mitbringen.

6000
Fachkräfte für die IT-Kernbereiche fehlen in Wien
2352
Rot-Weiß-Rot-Karten an IT-Techniker*innen
16641
IKT-Absolvent*innen an Unis und FHs im Zeitraum 2016/17 bis 2021/22

Höhere Technische Lehranstalten - Chance zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs

Der Großteil der Wiener Höheren Technischen Lehranstalten (HTL) bietet Ausbildungsfachrichtungen für den IT-Kernbereich Elektronik und technische Informatik sowie Informationstechnologien an. Aber auch Ausbildungen wie Elektrotechnik, Mechatronik und Maschinenbau sind Teil des HTL-Angebots. Damit tragen die Berufsbildenden Höheren Schulen in Wien  zur Entwicklung von IT-Kompetenzen für die österreichische Wirtschaft maßgeblich bei, wie aus einer durch das Industriewissenschaftliche Institut (iwi) durchgeführten Analyse zum österreichischen IT-Qualifizierungsangebot hervorgeht. Untersucht wurde die Verfügbarkeit von IT-Bildungsangeboten für die Bereiche Data Science, IT-Systems & Security, IT-Support & Anwendungsbetreuung, Software Engineering und Web Development, IT-Analyse und -Management, Automatisierung und Artificial Intelligence.

Eine technisch orientierte Ausbildung auf mittlerem Bildungsniveau scheint außerdem eine gute Voraussetzung für eine akademische Laufbahn im IKT-Bereich darzustellen, denn 34,4 Prozent aller österreichischen ordentlichen Studienabschlüsse gehen auf Studierende zurück, die zuvor eine HTL abgeschlossen hatten. Daher setzt etwa auch die Wirtschaftskammer Wien auf stärkere Zusammenarbeit mit den Wiener IT-HTLs.

Forderungen nach mehr HTL-Plätzen

Vermehrt werden daher auch Forderungen für eine Ausweitung des HTL-Bildungsangebots im Hinblick auf die Versorgung des Arbeitsmarkts mit IT-Fachkräften laut. So formulierte die Internetoffensive Österreich etwa im Oktober 2023 die zentrale Forderung einer Gründungsoffensive von IT-HTLs zur Gewinnung von künftigen IT-Fachkräften. Ein Hinweis für einen verstärkten Bedarf nach mehr Schulplätzen sei unter anderem die hohe Zahl an Abweisungen von Schüler*innen, die sich um Plätze an den HTLs bewerben. Im Schuljahr 2022/23 wurde über ein Viertel der Interessent*innen an Wiener HTLs abgewiesen, also 882 Personen von insgesamt 3.170 Anmeldungen.

Eine Schaltung mit schwarzen, roten und grünen Kabeln
Der Ruf nach mehr HTL-Plätzen wird lauter.

Hochqualifizierte für den IT-Arbeitsmarkt

Auch mit ihrem Angebot auf tertiärer Bildungsebene genießt Wien im Bundesvergleich einen Standortvorteil. Allein mit dem Ausbildungsangebot der Fachhochschule Technikum Wien werden laut Studien 20 Prozent des österreichweiten IT-Kompetenzpools abgedeckt. Insgesamt 20 IT-Studien und IT-Lehrgänge tragen hier zu 27 Prozent des bundesweiten universitären IT-Kompetenzoutputs bei. Weitere 2 Fachhochschulen (FH Campus Wien, bfi Wien GmbH) und insgesamt 4 Universitäten (Universität Wien, Technische Universität Wien, Wirtschaftsuniversität Wien, Medizinische Universität Wien) sorgen mit 39 IT-orientierten Studien für ein extrem starkes regionales Angebot, das sich mit oben beschriebenem Beschäftigungsstand deckt.

Wenig überraschend sind in Wien auch die meisten IT-Studierenden zu finden. Im Wintersemester 2022/23 studierten in der Fachrichtung Informatik und Kommunikationstechnologie die meisten Personen an der Technischen Universität Wien. Das waren 6.058 Studierende, was einem Anteil von 32,6 Prozent der österreichischen IKT-Studienplätze entspricht. Die meisten Abschlüsse entfallen ebenso auf die Technische Universität Wien.

Die Fachhochschulen erhalten neben der studienplatzbezogenen Bundesfinanzierung zum Teil erhebliche Förderungen der Stadt Wien. Diese Investitionen dienen der Qualitätsverbesserung sowie deren Anpassung an wichtige technologie- und wirtschaftspolitische Entwicklungen und sollen eben dafür sorgen, ein ausreichendes Fachkräfteangebot für die Wiener Unternehmen in den Zukunftsbranchen zu sichern.

Herausforderungen der IT-Ausbildung

Grundsätzlich ist in der Ausbildungsfachrichtung Informatik und Kommunikationstechnologie an den Unis und FHs ein Zuwachs an belegten ordentlichen Studien zu beobachten. Jedoch zeigen sich im Vergleich der Drop-Out-Quoten mit jenen der Gesamtstudienzahl zum Teil hohe Unterschiede. Im FH-Bachelorstudium im Wintersemester 2019/20 betrug die Abbruchquote ganze 40,5 Prozent im Vergleich zu den 25 Prozent der Gesamtheit aller Bachelorstudien. Im fachgleichen Masterstudium ist der Anteil der Abbrüche mit 37,5 Prozent nur geringfügig niedriger.

An den wissenschaftlichen Universitäten sind im Masterstudium der selben Fachrichtung die Drop-Out-Quoten besonders hoch: 51,8 Prozent versus 36,3 Prozent in allen Masterstudien. Im Masterstudium Informatik und Kommunikationstechnologie an der TU Wien liegt der Anteil der Drop-Outs im Studienjahr 2021/22 sogar bei 63 Prozent.

Anders als in den übrigen Bachelor- und Masterstudien liegt die Dropout-Quote bei den Masterstudien Informatik und Kommunikationstechnologie deutlich über der Dropout-Quote der Bachelorstudien. Das dürfte teilweise auf sogenannte Job-Outs zurückzuführen sein, also Studienabbrüchen, die zugunsten einer aufgenommenen Beschäftigung vorgenommen werden.

Drop-Out-Quoten als Spiegelbild der wachsenden Nachfrage

Unter den Studienabbrecher*innen können auch sogenannte Job-Outs vermutet werden, die  mit den erworbenen fachlichen Kompetenzen auch ohne Studienabschluss in der Wirtschaft nachgefragt zu sein scheinen. Dies liegt auch darin begründet, dass IT-Qualifikationen mittlerweile auch außerhalb der IKT-Branche stark nachgefragt sind.

Als Bundeshauptstadt mit einem vielfältigsten Bildungsangebot zieht Wien außerdem zwar (Informatik-)Studierende aus den übrigen Bundesländern an, bedient diese jedoch wiederum mit IT-Qualifikationen. Gerade Studierende aus anderen Bundesländern nehmen auch Erwerbstätigkeiten außerhalb Wiens auf. Im internationalen Vergleich zeigt sich generell ein vergleichsweise geringes Angebot an Absolvent*innen in Wien, was das Wachstum im IKT-Sektor verringern könnte. Außerdem soll die Anzahl an Professuren in Wien im internationalen Vergleich weniger stark gewachsen sein.

Niedriger Frauenanteil in der IT

Eine weitere Herausforderung im IT-Bereich bildet die hier vorherrschende geschlechtsspezifische Segregation. In der IKT-Wirtschaft ist der Anteil an unselbstständig beschäftigten Frauen in den letzten Jahren nur geringfügig gestiegen, von 27,9 Prozent im Jahr 2017 auf 29,2 Prozent im Jahr 2022. Außerdem liegen die von Frauen besetzten Stellen in IT-Unternehmen zumeist nicht im IT-Kernbereich. In mehr als der Hälfte aller Unternehmen sollen laut Umfragen in den Bereichen F&E bzw. IT ferner überhaupt keine Frauen beschäftigt sein.

An den Unis ist der Frauenanteil noch geringer: Im Wintersemester 2021/22 betrug dieser in Informatik und Kommunikationstechnologie nur 20 Prozent (gesamt 53,7 Prozent). Diese Zahlen liegen seit Jahren auf einem niedrigen Niveau.

Die Digitalisierung der Arbeitswelt zeigt zudem Tendenzen zur Verstärkung geschlechtsspezifischer Unterschiede, was unter anderem auf die Unterrepräsentation von Frauen in Coding-Teams zurückzuführen ist.

Neue Wege in der IT-Bildung

In den letzten Jahren haben sich auch Entwicklungen neuer IT-Lehrberufe bzw. neuer Spezialisierungen als effektiver Weg erwiesen, das bestehende Angebot im IT- Fachbereich zu erweitern. Seit 2018 gibt es etwa den Lehrberuf Applikationsentwicklung – Coding und den Lehrberuf Informationstechnologie, der als Informatik- oder Systemtechnik-Schwerpunkt erlernt werden kann. Laufend werden auch bestehende Lehrberufe aus anderen Sparten den neuen technologisch-wirtschaftlichen Bedingungen angepasst. Die Lehrlingszahlen steigen hier: Wurden im Lehrberuf Applikationsentwicklung – Coding im Jahr 2019 in Wien lediglich 5 Lehrlinge ausgebildet, waren es 2023 bereits 231.

Für Absolvent*innen von Lehrberufen ist geplant, neue Institutionen im Bereich der Höheren Beruflichen Bildung zu schaffen, die auf einem berufspraktischen Weg einen formalen Abschluss auf tertiärem Niveau ermöglichen sollen. Über den Weg der Dualen Akademie sollen indes AHS-Maturant*innen in Berufen ausgebildet werden können, die ansonsten eher dem Lehrbereich zuzuordnen sind.

Daneben bestehen auch immer mehr halb-private und private Anbieter für die IT-Ausbildung im postsekundären Ausbildungsmarkt mit hoher und aktueller Arbeitsmarktrelevanz. Ein Beispiel hierfür ist die Programmierschule 42 Vienna, die mit Unterstützung etwa der Arbeiterkammer Wien, der Wirtschaftskammer Wien und des waff aktuell 280 Menschen ausbildet.

Der Campus "42 Vienna" mit einigen Studierenden und PCs. Im Hintergrund ist eine Fensterfront zu sehen.
42 Vienna - ein kostenloses Bildungsprogramm für Coding.

Hier gibt es nähere Informationen zu 42 Vienna: Unser Interview mit Rosemarie Pichler

Handlungsoptionen für den Bildungsbereich zur Sicherung von IT-Fachkräften

Aktuell besteht eine verstärkte Nachfrage nach IT-Dienstleistungen, die die Arbeitskräftenachfrage insbesondere im IKT-Sektor weiter erhöhen wird. Die Reaktion des Bildungssystems erfolgt allerdings verzögert. Die meist langen Ausbildungswege erschweren eine kurzfristige Entlastung der Situation. Darüber hinaus stellen erhöhte Drop-Out-Quoten oder etwa der niedrige Frauenanteil das Bildungssystem vor Herausforderungen bei der Ausbildung von künftigen IT-Fachkräften. Es gilt daher an unterschiedlichen Hebeln anzusetzen, um Lösungen für die multiplen Problemlagen zu finden.

  • Eine Möglichkeit auf die dynamische und steigende Nachfrage auf dem IT-Arbeitsmarkt zu reagieren stellen etwa alternative, bedarfsorientierte Bildungsprogramme dar. In diesem Zusammenhang wurde die Coding Schule 42 Vienna bereits genannt. Ein anderes Beispiel ist Everyone Codes, die unter anderem Programme für beim AMS vorgemerkte Personen anbieten, mitunter in Zusammenarbeit mit Jugend am Werk.
  • Für ein besseres Matching von angebotenen und am Arbeitsmarkt nachgefragten Kompetenzen sorgen verstärkte Kooperationen zwischen Bildungseinrichtungen und Akteur*innen aus der Wirtschaft. Die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Schulen wie den HTLs, den Fachhochschulen oder etwa in der Lehre, aber auch in der Überbetrieblichen Lehre (ÜBA) oder der Facharbeiter*innenintensivausbildung (FIA), unterstützt den Erwerb von Praxiserfahrung in der Ausbildung, bietet die Gelegenheit der gemeinsamen Weiterentwicklung von Curricula und ermöglichen einen fließenden Übergang der Lernenden in den Arbeitsmarkt.
  • Es scheint außerdem eine verstärkte Sichtbarmachung der Vielfältigkeit der Berufsbilder und möglicher Karrierepfade erforderlich zu sein. Im Besonderen trifft dies auf die Lehrausbildung in IT-Berufen zu. Gerade IT-Unternehmen, die bislang noch keine Lehrlinge ausbilden, gilt es durch gezielte Informationen für das Potential der Lehrausbildung zu sensibilisieren und so Hürden und Vorbehalte gegen die Aufnahme von Lehrlingen möglichst abzubauen.
  • Maßnahmen zur Verbesserung der digitalen (Grund-)Kompetenzen in der breiten Bevölkerung sowie ein niederschwelliger Zugang zu Weiterbildungen im IT-Bereich sind zu entwickeln und weiter auszubauen. Doch nicht nur Digital Literacy ist gefragt, auch IT-Fachkenntnisse sollten in alle Ausbildungen integriert werden, um eine Basis für die Entwicklung in den IT-Fachbereich zu schaffen.
  • Die Aus- und Weiterbildungsprogramme gilt es auf die künftig benötigten Qualifikations- und Anforderungsprofile (laufend) anzupassen. Dabei müssen Bedarfe der Wirtschaft frühzeitig erkannt werden, um wirksame Bildungsangebote zu schaffen. Entsprechende Förderungen wie der Digi Winner können Beschäftigte unterstützen, Aus- und Weiterbildungen zum Aufbau digitaler Kompetenz zu nutzen.
  • Um Kinder generell und speziell Mädchen für einen Beruf in der IT-Branche zu begeistern, sollte durch entsprechende praxisnahe Angebote bereits in der elementaren Bildung das Interesse für MINT-Themen und das Programmieren geweckt werden. Generell würde mehr Informatik-Unterricht an Schulen die Vermittlung von informatischem Grundwissen fördern. Auch Durchlässigkeit im Bildungssystem sollte weiter erhöht werden, um typische geschlechtsspezifische Ausbildungswege zu durchbrechen.

Lesen Sie mehr dazu im Fachkräftereport für Wien und in unserem Schwerpunkt zu Fachkräftesicherung und digitaler Wandel.