Wie die überbetriebliche Ausbildung junge Potenziale sichert
Best Practice
Auch in Wien suchen viele Jugendliche oft lange nach einer Lehrstelle, während Betriebe gleichzeitig „händeringend“ Fachkräfte suchen. Die überbetriebliche Ausbildung (ÜBA) ist ein Erfolgsprojekt, das jungen Menschen die verdiente Chance auf eine solide Berufsausbildung gibt und Unternehmen zugleich die benötigten Mitarbeiter*innen vermittelt. Wir haben zwei Lehrlinge in der ÜBA bei Jugend am Werk besucht und die topinstallateur GmbH als übernehmenden Arbeitgeber interviewt.
Bahia Sachal hält zwei Kunststoffrohre in den Händen. Über eine schwarze, hoch erhitzte Scheibe gebeugt, drückt sie die Rohre fest auf jeweils eine Seite. PE-Schweißen nennt man das: Eine Technik zur dauerhaften Verbindung von aus Polyethylen (PE) gefertigten Objekten – wie etwa Abflussrohren –, die die 19-Jährige vor Kurzem erlernt hat. „Der Beruf gefällt mir schon sehr“, stellt sie mit einem Lächeln fest. „Sonst würde ich auch nicht unbedingt jeden Tag den weiten Weg hierherfahren.“ Von zu Hause in Wien-Floridsdorf bis hierher nach Favoriten, wo Jugend am Werk (JAW) ein Ausbildungszentrum in der Gutheil-Schoder-Gasse betreibt, ist es gefühlt eine Weltreise. Aber hier hat Sachal gefunden, was sie suchte.
Neben ihr arbeitet Hamda Usmaan. Sie ist 18 und hat sich wie ihre Kollegin für die Lehrausbildung zur Installations- und Gebäudetechnikerin entschieden. Beide nehmen dabei den Weg über die überbetriebliche Ausbildung (ÜBA) – einem Erfolgsmodell, das jungen Menschen seit vielen Jahren berufliche Perspektiven gibt.

4,4 Lehrlinge auf eine Stelle
Melanie Nemec ist Standortleiterin der JAW-Werkstatt für technische Berufe in der Gutheil-Schoder-Gasse. Sie kennt die paradoxe Situation am Wiener Lehrstellenmarkt genau. „In Wien kamen 2024 etwa 4,4 Lehrlinge auf eine Lehrstelle. Das heißt, die Firmen haben derzeit die Möglichkeit auszusuchen“, erklärt sie. Was umgekehrt bedeutet: Die Jugendlichen müssen motiviert sein und sich gut präsentieren können – für viele eine Herausforderung. „Nicht alle Jugendlichen sind bereits so klar in ihren Vorstellungen wie Bahia und Hamda“, lobt Nemec die beiden Lehrlinge. Bei vielen jungen Menschen gebe es eine große Diskrepanz zwischen „Ich würde gerne einen Beruf lernen“ und „Ich weiß nicht, welcher das sein könnte“. Ohne klare Vorstellung vom Berufsziel wird die Lehrstellensuche aber umso mehr zum Glücksspiel.
Die Corona-Jahre haben diese Orientierungsprobleme verschärft. „Gefühlt ist ganz, ganz viel Kontakt zu den Jugendlichen verloren gegangen“, beschreibt Nemec die Situation. Das erschwere es sowohl Betrieben als auch Ausbildungseinrichtungen, die jungen Menschen zu erreichen. Dazu kommt: Bestimmte Berufe ziehen nach wie vor die meisten Jugendlichen an. „Bei den Burschen ist es der KFZ-Techniker, bei den Mädchen die Friseurin“, sagt Nemec. „Sehr viele machen diese Ausbildungen, tun sich dann aber schwer, langfristig irgendwo unterzukommen – und die Bezahlung ist auch nicht so gut.“ Ein Handwerk wie jenes der Installateur*in sei hingegen stark gefragt und biete sehr gute Perspektiven. „Das ist einer der so genannten ‚Zukunftsberufe‘.“
Auf Umwegen zum Ziel
Sachals Weg in die Installateur-Lehre war alles andere als geradlinig. Nach Abschluss der Tourismusschule hatte sie keine konkreten Pläne, wie es weitergehen könnte. Klar war nur, dass sie gerne einen technischen Beruf ausüben wollte – vielleicht Automechanikerin, oder auch Karosseriebautechnikerin. Das Arbeitsmarkservice empfahl ihr die Teilnahme an einer Veranstaltung zur Berufsorientierung in technischen Berufen. Dort wurde unter anderem auch die Installateur-Lehre vorgestellt. Die Ausbildner*innen von JAW ermöglichten es, praktisch zu erfahren, was in der Theorie jede*r zu kennen glaubt. „Ich habe da halt mitgemacht. Und ich war die Einzige, die gleich begeistert Rohre gepresst hat.“ Das fiel positiv auf, und so wurde ein Probetag bei JAW möglich. Genau das Richtige für Sachal: „Es hat mir so sehr gefallen, dass ich mich entschieden habe, die Ausbildung zu machen.“

Usmaan fand auf ähnliche Weise hierher. Ein Jahr hatte sie bereits als Hilfskraft in einer Tischlerei gearbeitet – ohne Ausbildung, ohne echte Perspektive. So richtig sprang der Funke bei ihr, die sich mehr für Maschinenbautechnik interessierte, einfach nicht über. Eine Berufsberaterin erzählte ihr schließlich vom Tag der offenen Tür bei Jugend am Werk. „Ich habe hier gleich viel ausprobieren können, zum Beispiel das Löten. Das hat mir sehr gefallen.“ Seit September 2025 ist Usmaan nun in der Lehrausbildung: „Ich lerne jeden Tag neue Dinge, das finde ich super.“
Mehrwert für Betriebe
Oliver Moser ist Geschäftsführer der topinstallateur GmbH. Das Traditionsunternehmen in Wien-Simmering gehört mittlerweile zur deutschen Builtech-Group mit 53 Unternehmen, und Moser ist immens dankbar für das Angebot der ÜBA. „Ich könnte theoretisch jede Woche einen Lehrling aufnehmen, so viele Bewerbungen bekommen wir.“ Trotzdem hat er bereits mehrfach bewusst auf die überbetriebliche Ausbildung gesetzt. „Wir kriegen hier Lehrlinge, die bereits eine Grundausbildung haben. Die wissen schon: Was ist das für ein Rohr? Wie kann ich was pressen?“ Und nicht zuletzt: „Die sind es gewohnt, pünktlich zu sein und sich verlässlich abzumelden, wenn sie krank sind. Die Basics sind vorhanden, und wir können sie dann weiterentwickeln.“
Als Ausbildner für Installations- und Gebäudetechnik bei JAW bestätigt Patrick Pivoda genau das, bricht aber eine Lanze für die junge Generation: Manche Strukturen müssten eben erst erlernt werden, das Arbeitsleben unterscheide sich nun einmal in vielerlei Hinsicht von der Schule. „Natürlich wissen die Leute, die bei uns anfangen, meist noch nichts von der Verantwortung, die eine betriebliche Tagesstruktur mit sich bringt.“ Also wird unter anderem genau das geübt. „Man erklärt es in Ruhe, schärft das Bewusstsein, und dann funktioniert das schon.“

Für Moser ist diese Vorqualifizierung ein entscheidender Vorteil. „Wir fahren beide Schienen, setzen bewusst auf einen Mix: Fachkräfte, die wir von Beginn an bei uns entwickeln – und solche, die bereits Erfahrung haben. Dieses Potenzial möchte ich hier einfach mitnehmen.“ Am Ende der Lehrzeit mache das keinen Unterschied mehr, betont Moser. „Es kristallisiert sich ja rasch heraus: Wer hat das nötige Geschick, und wer will auch wirklich? Wenn die zwei Sachen passen, dann hast du nach drei Jahren eine Fachkraft, die wirklich gut ist. Das ist unabhängig davon, wo die Person ursprünglich begonnen hat.“
Das besondere Glück für Bahia Sachal und Hamda Usmaan, die Moser bei unserem JAW-Besuch zum ersten Mal treffen, ist, dass er „seit zweieinhalb Jahren wirklich sehr intensiv nach den ersten weiblichen Lehrlingen für unsere Firma“ sucht. Man habe zwar bereits mit der AMS-Initiative „Frauen in Handwerk und Technik“ kooperiert, hatte sogar schon eine erste Bewerberin, aber schlussendlich kam es nicht zu einer Einigung.
Professionelles Matching als Erfolgsfaktor
Thomas Wengler ist als Unternehmensbetreuer bei Jugend am Werk dafür zuständig, das Matching zwischen Lehrling und Ausbildungsbetrieb herzustellen. „Wir organisieren primär Praktika mit dem Ziel, damit eine Übernahme zu erreichen“, erklärt er. Vier bis acht Wochen dauere ein Praktikum, wie es auch Sachal und Usmaan bei der topinstallateur GmbH absolvieren werden, üblicherweise. Und am Ende steht idealerweise die Übernahme.
Rene Unger, der die Abteilung Unternehmensbetreuung leitet, ergänzt: „Wir wählen natürlich vorab schon aus und versuchen, das Matching zwischen Betrieb und Lehrling aufgrund der jeweiligen Wünsche und Anforderungen sehr wahrscheinlich zu machen.“ Was dann sehr oft zum Erfolg führt. Die Qualität dieser Vermittlungsarbeit bestätigt auch Moser, und verweist auf die schon früher erfolgte mehrfache Übernahme von Lehrlingen.
Standortleiterin Nemec stellt abschließend fest, dass ihrer Erfahrung nach die Berufsorientierung in den Schulen neu gedacht werden müsse. Es wäre sinnvoll, hier die Ressourcen aus der Wirtschaft und der überbetrieblichen Berufsausbildung zu nutzen. Gerade hinsichtlich der praktischen Vermittlung von Berufsbildern wäre das wichtig: „Wenn die Orientierungsphase gut ist, dann kann man sich ein gefestigtes Bild von einem Beruf machen, bewirbt sich gezielter und zieht das Ganze auch leichter bis zum Abschluss durch.“
Wenn die Orientierungsphase gut ist, dann kann man sich ein gefestigtes Bild von einem Beruf machen, bewirbt sich gezielter und zieht das Ganze auch leichter bis zum Abschluss durch.
Melanie Nemec, Standortleiterin JAW-Werkstatt für technische Berufe
Ergänzend dazu betont Janosch Stratemann, Bereichsleiter der Bildungs:Raum GmbH bei Jugend am Werk: „Wir sind über viele Jahre gemeinsam mit der Stadt Wien einen erfolgreichen Weg gegangen. Das hat für alle Seiten einen großen Mehrwert. Der Wunsch ist, dass wir den Weg konsequent weitergehen können.“
Für die beiden jungen Frauen in der Werkstatt jedenfalls ist klar: Trotz Umwegen haben sie ihr Ziel vor Augen, nähern sich mit großen Schritten der Anstellung in einer „echten“ Firma. Und somit zeigen sie sich einer Meinung mit ihrem sehr wahrscheinlich zukünftigen Arbeitgeber Oliver Moser: Die überbetriebliche Ausbildung ist nicht einfach ein gesellschaftliches Projekt, sondern auch eine wirtschaftlich kluge Strategie zur Fachkräftesicherung.
Stand 11/2025