„Die Demografie arbeitet für eine gut ausgebildete Jugend“

Winfried Göschl, Landesgeschäftsführer des AMS Wien, spricht im Interview über die besonderen Herausforderungen am Jugend-Arbeitsmarkt. Über Dauer und Häufigkeit von Arbeitslosigkeit entscheide immer noch die individuelle Bildungsbiografie. Während gut qualifizierte Jugendliche und junge Erwachsene eine Lehrstelle bzw. eine Arbeitsstelle finden, kämpfen jene ohne Schulabschluss mit einer dramatisch hohen Arbeitslosigkeit.

Herr Göschl, wie stehen die Chancen am Arbeitsmarkt für Jugendliche, die heute eine Lehrausbildung suchen?
Das hängt stark von den individuellen Voraussetzungen ab. Jugendliche mit einem guten Pflichtschul-Abschlusszeugnis finden auch in Wien eine Lehrstelle – sogar ohne unsere Hilfe. Die Herausforderung ist: Viele brauchen noch Unterstützung, um fit für den Einstieg am Arbeitsmarkt zu werden.

Was bedeutet das konkret?
Wir haben mittlerweile zwei Drittel unserer Kursteilnehmer*innen – also jener, die eine Weiterbildung zur Unterstützung der Vermittelbarkeit erhalten – in Angeboten, die Deutschkurse oder die Grundrechnungsarten umfassen. Ein erheblicher Teil davon ist noch gar nicht ausbildungsfit. Sie versuchen wir über das AusbildungsFit”-Programm so weit zu bringen, dass sie überhaupt eine Lehrstelle annehmen könnten. Erst dann kann zum Beispiel eine Unterstützung wie die Jugendwerkstatt oder eine Überbetriebliche Lehre angedacht werden.

Müssten nicht auch die Unternehmen mehr Engagement in der Aus- und Weiterbildung zeigen?
Wir haben beim AMS in Wien etwa 80.000 unqualifizierte Hilfskräfte zu vermitteln, die in harter Konkurrenz zueinander stehen. Gleichzeitig werden überall qualifizierte Facharbeiter*innen gesucht. Ein Elektriker, eine Elektrikerin – die finden sofort einen Job. Das Problem: Die Zahl der vorhandenen Hilfsjobs nimmt eher ab, womit die Arbeitslosigkeit gerade bei den weniger Qualifizierten tendenziell steigt. Die Unternehmen müssten vor diesem Hintergrund natürlich auch mehr aus- und weiterbilden: Die Quote der ausbildenden Betriebe ist in den vergangenen zehn Jahren um 16 Prozent gesunken.

Ein Lehrling bohrt ein Loch in ein Stück Metall.
Eindeutiger Vorteil: je höher die Ausbildung, desto niedriger das Risiko von Arbeitslosigkeit.

Ganz grundsätzlich gilt also nach wie vor: Ausbildung schützt vor Arbeitslosigkeit?
Ganz eindeutig: ja. Die Arbeitslosenquote bei Menschen ohne Ausbildung liegt in Wien bei rund einem Drittel. Bei Lehrabsolvent*innen liegt sie deutlich darunter, bei etwa zehn bis 12 Prozent. Und wenn man sich mal überlegt, was eine Arbeitslosenquote von einem Drittel statistisch bedeutet: Da ist jemand im Durchschnitt ganze 15 Jahre seines Erwerbslebens arbeitslos – mit allen damit verbundenen Konsequenzen, bis hin zur Altersarmut wegen fehlender Pensionsbeiträge. Bei Lehrabsolvent*innen sind es dem gegenüber, statistisch gesehen, nur etwa fünf Jahre. Darum gilt nach wie vor: Je höher die Ausbildung, desto niedriger das Arbeitslosigkeitsrisiko und desto kürzer die Dauer der Arbeitslosigkeit.

Welche Rolle spielt das Elternhaus, welche die Schulbildung?
Die Eltern spielen eine große Rolle. Wir haben ganz klar sowas wie eine vererbte Arbeitslosigkeit in Österreich. In Wien gibt es mehr Ganztagsschulen als anderswo, aber längst nicht flächendeckend. Wir müssten das Angebot bis zum Ende der Pflichtschulzeit ausweiten. Nicht zuletzt auch, um die Eltern zu entlasten.

Wird diese aktuell herausfordernde Situation durch die demografische Entwicklung verschärft?
Die Demografie ist unser größtes strukturelles Problem. Die geburtenstarken Jahrgänge scheiden aus dem Erwerbsleben aus, aber es kommen trotz Zuwanderung weniger Leute nach. Laut Prognosen wird das Arbeitskräftepotenzial bis 2040 um zehn bis 15 Prozent sinken. In Kärnten sehen wir das bereits: Dort sinkt die Beschäftigung, und die Arbeitslosigkeit stagniert. Wien wird davon später betroffen sein, aber es wird ebenso kommen. Das heißt: Für gut ausgebildete junge Menschen werden die Chancen besser. Für Unqualifizierte wird es noch schwieriger.

Winfried Göschl ist Landesgeschäftsführer des AMS Wien.

Gibt es Berufe, die eine besonders gute Zukunft haben?
Alles im Gesundheits- und Pflegebereich – allein schon wegen der alternden Bevölkerung, denn die geburtenstarken Jahrgänge müssen versorgt werden. Fraglich ist hier immer nur die Finanzierbarkeit. Im Bereich Klima und Nachhaltigkeit gibt es auch große Chancen, etwa für Elektriker*innen. Auch im IT-Bereich wird es weiter ein Wachstum geben, wenngleich das im Detail schwer einzuschätzen ist.

Welche Initiativen für junge Menschen sind besonders hilfreich?
Das Programm „Jobs PLUS Ausbildung“, das wir gemeinsam mit dem waff anbieten, ist sehr erfolgreich. Entscheidend ist, dass die Unternehmen aktiv dabei sein müssen und sich einbringen. Das erhöht die Akzeptanz solcher Initiativen enorm. Ich würde mir wünschen, dass wir im Bereich Arbeitsstiftung und bei den Qualifizierungsangeboten noch mehr Unternehmensbeteiligung hätten.

Was möchten Sie jungen Menschen in diesem Sinn mitgeben?
Investiert in eure Ausbildung! Das ist nicht nur eine Floskel. Die Zahlen sind brutal, aber eindeutig: Ohne Ausbildung sind es 15 Jahre Arbeitslosigkeit im Erwerbsleben, mit Lehre höchstens fünf Jahre. Wer gut ausgebildet ist, findet einen Job. Die Demografie arbeitet für euch – gut qualifizierte Fachkräfte sind gefragt. Aber ohne Ausbildung wird es extrem schwierig sein. Das ist die Realität.

Stand 11/2025